Junge Filme, eine Autorin mit Faible für Erinnerung und eine Kooperation mit Zukunft
Auf den ersten Blick nicht viel – außer, dass beide nur einmal im Jahr stattfinden und die anderen Monate der Vorbereitung und Nachbereitung dienen, wozu auch die Kultivierung des Bodens für kommende Saat gehört.
Dass beide jungen Kunst-Events neben ihrer Orientierung auf einen europäischen Zusammenhang hin auch die regionalspezifischen Bedingungen und Herausforderungen thematisieren, vor denen die Lausitz steht, wird auf den zweiten Blick deutlich – spätestens, wenn man mit dem umtriebigen und nimmermüden Leiter der Akademie spricht.
In dem von ihm formulierten Leitbild hört sich das so an: »Unser Ansatz ist regional und urban – wir verstehen uns als Mittler zwischen der Welt des Films, den Metropolregionen Dresden, Berlin, Prag und Breslau sowie den Regionen Lausitz und Euroregion.«
Das trifft auch die Intention des Festivals.
Aber es gibt auch gravierende Unterschiede, nicht nur, was die Budgets angeht.
Während das Lausitz Festival außerordentliche Kunst, getragen von internationaler Strahlkraft und höchster Meisterschaft präsentiert, dabei auch den Strukturwandel reflektierende Themen aufgreift, um die Bekanntheit der Lausitz überhaupt erst einmal zu gewährleisten, unterstützt die Sommer.Film.Akademie junge Filmemacher:innen bei der Erarbeitung und Realisierung erster Filmideen oder bei der Montage oder Postproduktion bereits vorhandenen Materials. Das geschieht unter anderem durch die Einbeziehung renommierter Mentor:innen und der Bereitstellung von professionellem Filmequipment. Ziel der Sommer.Film.Akademie ist es, »den Austausch von Wissen, Fähigkeiten und Interessen beim Filmemachen« zu fördern.
Dieses hier zitierte Selbstverständnis des Teams bildet sich auch in den Produkten ab, die am Ende der dreiwöchigen Akademie im Kühlhaus Görlitz entstanden sind. Das sind Teaser, poetische Essayfilme, Porträts, Features, Kurzfilme, fiktionale Filme …
»Als Filmemacher beschäftigen wir uns mit der Visualisierung unterschiedlicher Perspektiven. Der Austausch von Erfahrungen, Standpunkten und Perspektiven sind wesentliche Elemente für gegenseitiges Verständnis und Wertschätzung und damit notwendig, um gemeinsam zu wachsen.«
Und das Lausitz Festival gewährt Wachstumshilfe.
Wie? Bereits im zweiten Jahr kooperiert das Lausitz Festival mit der SFA, unterstützt das Projekt und vor allem ausgewählte Stipendiaten mit materiellen Mitteln für Lehrkräfte und Mentoring, und ermöglicht den während der Akademie entstandenen Filmen einen repräsentativen Raum der Wahrnehmung, so geschehen im Sommer 2022 im Innenhof des Kulturhistorischen Museums Görlitz, und 2023 im Camillo-Kino.
Eine der Filmemacher:innen, die mit Unterstützung des Lausitz Festivals ein Stipendium erhalten hat, soll hier näher vorgestellt sein.
Lea Hoffarth, in der Lausitz aufgewachsen, in Finsterwalde, setzt sich in ihrer Arbeit künstlerisch mit »regional bezogenen Erinnerungsvorgängen und menschlichen Sinneswahrnehmungen« auseinander.
Ihr während der Sommer.Film.Akademie qualifizierter Filmentwurf, eine Mixed-Media-Dokumentation, trägt den Titel GOHRA – DEM ERDBODEN GLEICH, und dauert vorerst 9 Minuten.
Gohra, im Sorbischen »der Berg«, ist der ursprüngliche Name des Dorfes Bergheide, das 1937 im Zuge der »Gemanisierung« sorbischstämmiger Ortsnamen umbenannt wurde. Erst verlor das Dorf seinen Namen, dann verschwand es ganz. Noch kurz vor der Wende wurde es weggebaggert; 2014 entstand durch Flutung des ehemaligen Braunkohletagebaus Klettwitz-Nord der Bergheider See. Heute ragt direkt daneben der riesige Schaufelradbagger des Besucherbergwerks F60 wie ein Mahnmal der Erinnerung hoch über die Landschaft.
Lea hat bei Treffen ehemaliger Bergheider Kontakte geknüpft, viel nachgefragt, etliche Gespräche mit Redakteuren vom Heimatkalender Finsterwalde geführt, und schließlich Manfred Rothe, dem Leiter der Ausgrabungen vor 1989, und Bert Griebner, ebenfalls Mitglied im Heimatverein, in Interviews befragt. Dabei förderte sie viele Detailinformationen zutage. Bei ihren Recherchen stieß sie auf Super-8-Filmmaterial, alte Postkarten, Fotografien. Diese halten das verschwundene Leben des verschwundenen Dorfes im Rückblick fest.
Lea erklärt, spürbar emotionalisiert: »Der Bergbau währte nur drei Jahre, aber in diesem Siedlungsgebiet – einem der ältesten des wendischen Zirkels (im Altkreis Calau eine Ansammlung von Dörfern, die noch wendische Gottesdienste abhielten) – wurden in der Zeit ein slawischer Burgwall und zwei Burgen wegebaggert, prähistorische Funde für immer vernichtet; der Bagger war schneller, als man die Funde hätte bergen können.«
Für ihren Film hat sie bewegte Bilder aufgenommen. Die zeigen, zum Beispiel in Nochten, wie sich die Baggerschaufeln durch das Erdreich arbeiten. Die Künstlerin benutzt unterschiedliche Kameras, Techniken und eigens hergestellte Ölfarben zur Visualisierung ihres Projektes. »Mit selbst aufgenommen Mittelformatbilder, gemalt, geritzt versuche ich das, was nicht mehr sichtbar ist, ins Jetzt zu holen. Und die Ölmalerei symbolisiert den Vorgang, dem geschändeten Land die Erde zurückzugeben. So bringe ich das Lausitzer Ocker auf den Stumpf des Berges zurück, auf dem das Dorf einst ruhte.«
Ihre Arbeit an diesem Film vergleicht Lea mit dem Bagger: »Was dieser, Erdschicht für Erdschicht, Geschichte für Geschichte, dem Berg wegnahm, versuche ich – mit recherche-basiertem, kulturwissenschaftlichem Blick zu rekonstruieren und kreativ umzusetzen.«
Sie fördert zutage, was er unter seinen Schaufeln begrub, und nimmt mit künstlerischen Mitteln eine fiktive Bestandsaufnahme vor.
In diesem Jahr schloss Lea Hoffahrt das Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden mit Diplom ab; Film ist nur eine Facette ihres Schaffens.
In der Sommer.Film.Akademie sieht sie ihren Film GOHRA dahingehend gefördert, dass sie aus dem anwesenden Kollektiv junger, noch in Entwicklung begriffener und erfahrener Künstler- Mentor:innen Feedback und Knowhow bekam. Gespräche halfen beim Generieren und Überprüfen von Projektideen.
»Große Dankbarkeit empfinde ich für das Zusammenbringen, Fördern und Unterstützen von kreativen Köpfen mit wundervollen Ideen und das an einem so unfassbaren Ort wie dem Kühlhaus Görlitz. Das Gathering mit all diesen in der Filmbranche angesiedelten Kunstschaffenden war beflügelnd und hat mir neue Perspektiven eröffnet,« schwärmt Lea. Ihre Mentorin war Grit Lemke, Autorin und Regisseurin des Dok-Films »Gundermanns Revier«.
Die Tatsache, dass Lea Hoffarth 2021 der 2. Platz beim »3. Verstärker Kunst-Film-Festival« zuerkannt wurde und sie eine Einladung erhielt als Filmemacherin beim Mediawave Festival in Budapest und Ravazd, spricht für eine Film-Begabung. Außerdem war sie im Herbst 2023 in der Animationfilmjury des Internationalen Filmfestivals SCHLINGEL in Chemnitz tätig.
Wie nun aber geht es weiter mit GOHRA, dem Film?
»Ich habe einen Antrag gestellt zur Förderung einer recherche-basierten Stoff- und Drehbuchentwicklung für eine 30–40 Minuten lange Bewegtbildarbeit. Dabei ist mir die historische Aufarbeitung des sorbischen Siedlungsraums ein besonderes Anliegen in der filmischen Darstellung. In Zusammenarbeit mit dem wendischen Museum in Cottbus sollen die wendische Vergangenheit und die regionalen Bräuche, die Siedlungsgeschichte und die ethnologische Prägung näher betrachtet werden. Mit dem fertigen Drehbuch und dem Teaser kann das Projekt infrage kommenden Produzenten vorgestellt werden.«
Ein langer Weg. Aber die erste Etappe, der Teaser, ist genommen.
Leas Zielvorstellung ist, »den Film bei regionalen Filmfestivals, wie dem Filmfestival Cottbus und dem Filmfest Dresden, einzureichen, und ihn bei regionalen Veranstaltungen, wie dem Herbstfestival an der F60, zu zeigen«.
Toi Toi Toi wünscht das Lausitz Festival!
Heike Merten-Hommel, 10.10.2023
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